LAMY Specs Vol. 5 - Ein Gespräch mit Manfred Schmid
Manfred Schmid ist einer der wenigen europäischen Urushi-Meister, die diese Kunst beherrschen. Für die Edition LAMY dialog urushi hat er drei von vier Jahreszeiten kreiert: Frühling, Herbst und Winter. Ein Besuch in seinem Bremer Atelier.
Herr Schmid, die Urushi-Lackkunst hat ihren Ursprung in der ostasiatischen Kultur und ist auch eng mit deren Tugenden und Traditionen verbunden. Wie kommt man als deutsches „Nordlicht“ zum Urushi?
Manfred Schmid: Die Japaner sagen: Man kommt nicht zum Urushi, sondern Urushi kommt zu einem. Ich bin von Hause aus eigentlich Kunsttischler, habe Möbel entworfen und gebaut. 1998 bin ich nach Barcelona gezogen und habe durch Zufall an der Hochschule entdeckt, dass man dort Urushi, beziehungsweise Japanlack studieren kann. Am Anfang wollte ich das eigentlich gar nicht als Beruf machen. Ich glaube, wenn ich gewusst hätte, welcher Aufwand dahintersteckt, und dass Objekte mit Schwarzlack manchmal auch ein bis zwei Jahre dauern können, bis sie fertig sind – je nach Größe und Technik –, dann wäre ich weggelaufen. Ich bin nämlich eigentlich ein sehr ungeduldiger Mensch.
Tatsächlich sind Sie nicht weggelaufen, ganz im Gegenteil. Sie widmen sich mittlerweile seit über 20 Jahren der Urushi-Kunst. Was fasziniert Sie daran?
MS: Meine Faszination für Urushi begann mit dem Schwarzlack. Es ist das tiefste Schwarz, das man weltweit erzeugen kann. Und auch das einzige Schwarz, das nicht mit Pigmenten erzeugt wird. Dadurch ist der Lack transluzent – und je mehr Schichten ich davon auf ein Objekt auftrage, desto mehr Lichtbrechung entsteht und desto tiefer erscheint das Schwarz. Man schaut in die Oberfläche quasi hinein. Das ist ein großes Faszinosum, auch für Leute, die noch nie mit Urushi in Kontakt gekommen sind. Viele sind dann erstmal irritiert: Es ist kein Glas, es ist keine Keramik, aber was ist es dann? Doch sie sind sofort angezogen von dieser Tiefe, die, je weniger Licht da ist, desto mehr zum Vorschein kommt. Japanlack ist eigentlich, wie die Japaner sagen, in Schichten abgelagerte Dunkelheit.
Urushi ist nicht nur eine handwerkliche Kunst, sondern stellt auch besondere Herausforderungen an die Persönlichkeit des Urushi-Meisters. Der Umgang mit dem Material erfordert hohe Disziplin und große Geduld.
Wie gelingt es Ihnen – als eigentlich ungeduldiger Mensch –, sich darauf einzulassen?
MS: Das hat für mich etwas mit Zen zu tun; damit, sich selbst immer mehr herauszunehmen. Man kann Urushi nicht dominieren. Es ist ein unglaublich charaktervolles Material, auf das man auch ein Stückweit hören muss. Man setzt eigentlich die Ratio außer Kraft – wie ein Musiker, der am Anfang die Technik erst einmal lernt, ganz klar und rational. Aber wenn er gut spielen möchte, muss er das Ganze irgendwann mal vergessen. Und so ist es beim Urushi auch. Je mehr ich bei der letzten Schicht sage, „So, das ist sie jetzt“, desto weniger ist sie es. Manchmal ist es so, dass ich eine letzte Schicht mache und eigentlich unzufrieden nach Hause gehe. Und wenn ich dann am nächsten Tag wiederkomme und zu schleifen anfange, stelle ich fest: Die ist super, das war’s. Es ist manchmal paradox. Aber es hat viel damit zu tun, dass man in eine Art Meditation kommt.
Meine Faszination für Urushi begann mit dem Schwarzlack. Es ist das tiefste Schwarz, das man weltweit erzeugen kann.
Man muss also in gewisser Weise loslassen?
MS: Ja, so kann man es sagen. Wenn ich den Urushi-Lack verteile, kann ich mit bloßem Auge nicht sehen, ob die Schicht gleichmäßig ist. Ich muss ein Gefühl dafür entwickeln und immer wieder über die Fläche streichen. Und dieses Gefühl wird dann irgendwann eine Intuition. So wie der Cellist auch ohne hinzusehen das E trifft – das ist einfach Übung, Übung, Übung. Bis es irgendwann wie von alleine geht. Auch beim Schleifen ist es so: Ich höre und fühle mehr, wo ich schon war. Es ist eine Art Eindringen in die Oberfläche, die ich mir innerlich vorstelle. Man geht schon sehr in Resonanz mit dem Material – auch ärgerlich manchmal, wenn es nicht so recht will; oder es trocknet nicht, und man weiß nicht, wieso. Manchmal braucht es zwei, drei Tage und mal eine Woche. Es hat sein Geheimnis. Aber das macht es auch so faszinierend.
Sie haben die Urushi- Technik in Barcelona erlernt und perfektioniert. Wie nah sind Sie an den Traditionen und wo haben Sie sich eher davon entfernt?
MS: Die Tradition spielt für mich hauptsächlich eine Rolle, wenn es um die Technik, also den Aufbau eines Lackobjekts geht. Diese Technik hat sich seit Jahrtausenden bewährt, daran kann man nichts verbessern. Was ich verändert habe, ist die Art und Weise, wie ich den Lack bearbeite. Ich schleife zum Beispiel nicht mit Holzkohle, wie man das früher gemacht hat, sondern nehme Nassschleifpapier. Und Spachtelmasse trage nicht mit einem geschnitzten Holzspachtel auf, sondern mit dem Finger – das ist der beste Spachtel der Welt. Grundsätzlich habe ich es von Anfang an eher vermieden, mich in die japanische Tradition zu stellen, auch bei der Gestaltung meiner Objekte. Ich bin Europäer und wenn ich versuchen würde, die japanische Kunst zu imitieren, könnte das nur eine billige Kopie sein. Ich überlege mir immer, an welcher Form der Lack besonders gut zur Geltung kommt.
Mir ist es wichtig, Formen zu finden, die auch in fünfzig oder hundert Jahren noch als schön wahrgenommen werden. Mein Ziel ist, dass Lack und Form eine perfekte Harmonie eingehen. Besonders gut kommen der Glanz und die Spiegelungen auf runden Formen zur Geltung – insofern war der LAMY dialog 3 perfekt.
Was war beim LAMY dialog 3 für Sie die größte Herausforderung?
MS: Die größte Schwierigkeit war eigentlich, mich von alten Vorstellungen zu lösen. Man hat hunderte Bilder im Kopf von Füllfederhalten in Urushi, die andere vor einem gemacht haben – und die meiste Arbeit war es, diese Bilder aus dem Kopf zu kriegen, beziehungsweise den Kopf auszuschalten. Das kam dann, nachdem ich vier Wochen lang alles liegen gelassen hatte und dachte, mir fällt nichts ein. Es war in einem Moment, wo ich eigentlich keine passende Hülle [Anm. d. Red.: Korpusrohling] mehr hatte – nur noch Hüllen, in die eine Linie eingraviert war, die ich nicht gebrauchen konnte. Die habe ich dann herausgeschliffen und den Füllhalter längs gebürstet. Wie ich dann darauf gekommen bin, den Rohling auch quer zu schleifen … das kann ich eigentlich nicht mehr sagen. Ich würde heute sagen, das war eine Eingebung. So etwas kommt, aber man kann es nicht einfordern. Da waren die Götter des Urushi mal wieder gnädig. Aber so ist der Herbst entstanden, das erste Modell.
Es gibt keine unwichtige Schicht. Jede Schicht muss perfekt sein.
Klassischerweise wird Urushi nur in den Farben Schwarz und Rot verarbeitet. Für den Herbst wählte Manfred Schmid Transparentlack, der bei Schichtung einen Bernsteinton entfaltet.
Für den Herbst haben Sie keinen klassischen Schwarzlack verwendet, sondern Transparentlack. Wie sind Sie auf diese Idee gekommen?
MS: Als der Anruf von Lamy kam, war ich an einem Punkt, wo ich eigentlich mit dem Schwarzlack abgeschlossen hatte. Ich habe zwanzig Jahre lang „Schwarz gesehen“ und wollte mich nach etwas Neuem aufmachen, Farbe ins Leben bringen. Und was mich da interessiert hat, war der so genannte Transparentlack. Ich sage „so genannt“, weil er zwar durchscheinend, aber nicht farblos ist. Wenn er richtig aufgetragen wird, hat er eine Bernsteinfarbe, die mich
an Bilder aus meiner Kindheit erinnert. Wir hatten damals so ein Rollo, und wenn die Straßenlaterne in mein Zimmer hineinstrahlte, war da so ein wunderbares, goldbraunes Licht. In Japan wird der Transparentlack eigentlich nicht verwendet, zumindest nicht als eigenständige Oberfläche, eher als Versiegelung. Aber genau diesen Lack habe ich über die Textur aufgetragen, die ich vorher in den Füllhalter eingeschliffen hatte. Den Effekt fand ich sehr spannend: Die Textur wird nicht abgedeckt, sondern leuchtet aus der Tiefe heraus durch den Lack hindurch.
Als es zur Zusammenarbeit mit Lamy kam, hatten Sie sich vom klassischen Schwarzlack entfernt. Ist da in der Auseinandersetzung mit dem LAMY dialog 3 etwas geschehen, wodurch sich Ihr Blick auf Urushi verändert hat?
MS: Ja, selbstverständlich. In der jahrzehntelangen Arbeit mit dem Schwarzlack habe ich einen enormen Perfektionsblick entwickelt. Durch die Zusammenarbeit mit Lamy und im Austausch mit Herrn Achenbach habe ich eigentlich erkannt, dass ich manchmal Dinge als Fehler ansehe, die mein Gegenüber als Ästhetik wahrnimmt. Und das war ja eigentlich der Weg, den ich gehen wollte: weg vom Schwarzlack, mehr Lebendigkeit. Es kann sehr langwierig sein, den eigenen Blick zu verändern und wieder offener zu werden – für den Anfängergeist, wie man im Zen sagt.
Man kann Urushi nicht dominieren. Es ist ein unglaublich charaktervolles Material, auf das man auch ein Stückweit hören muss.
Der Herbst ist, wie Sie sagen, durch Zufall oder eine Art Eingebung entstanden. Was war die Inspiration für Frühling und Winter?
MS: Auch da kam mir die Idee durch Zufall. Ich arbeitete gerade an einer großen Edelstahlschale in der besagten Herbsttechnik und war mal wieder in meinem Perfektionswahn. Ich hatte schon vierzehn Mal die erste Schicht aufgetragen und immer wieder abgewischt, weil sie nicht gleichmäßig wurde. Ich habe mich zwei, drei Monate damit gequält und war so verzweifelt, dass ich die Schale am liebsten aus dem Fenster geworfen hätte. Als ich gerade wieder einmal die letzte Schicht abwischen wollte und mein Tuch mit Alkohol getränkt habe, tropfte etwas davon in diese Schale hinein. Und in dem Moment sah ich das und dachte: Wow, das sieht ja toll aus. Ich habe mir dann gleich einen Füllhalter genommen und angefangen zu experimentieren.
Wie kommt der Effekt genau zustande?
MS: Ich nehme Alkohol mit einem Pinsel auf und schlage ihn so ab, dass er in vielen kleinen Tröpfchen auf den Füllhalter gesprenkelt wird. Dadurch bricht die Oberflächenspannung des Lacks und es entsteht die besondere Struktur, wie man sie beim Frühling und beim Winter sehen kann. Das Ergebnis ist immer ein anderes. Ich könnte niemals einen Füllfederhalter exakt genauso wieder machen – jeder ist ein absolutes Unikat.